16-Bit-Experimente: Projekt Sierra

Geschichtliches

Die bis 1983 von Atari entwickelten und vermarkteten Computer und modulbasierten Spielkonsolen basieren alle auf der 8-Bit-Technologie und dem MOS 6502-Prozessor, die im Gegensatz zu manch anderen Geräten von diversen Custom Chips wie TIA, POKEY oder ANTIC unterstützt werden und damit den Hauptprozessor entlasten. Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre kam bereits eine neue Generation von Prozessoren auf den Markt, die mit einem 16-, 24- oder gar 32-Bit breiten Datenbus arbeiten und somit über weitaus höhere Möglichkeiten verfügen als die bisherigen 4- und 8-Bit-Modelle.

Die Atari Sunnyvale Research Laboratories (ASRL) unter Alan Kay und Kristina Hooper Woolsey bekamen die Aufgabe, die Gruppe am oberen Ende der laufenden Entwicklung zu halten und dementsprechende Produkte zu entwerfen. Bereits Anfang der 1980er Jahre experimentierte die Gruppe unter Anderem mit 32-Bit-Prozessoren, was letztendlich in einigen neuen Computerprojekten mündete.


Atari Sierra

Unter dem Codenamen Sierra entwickelten die ASRL einen 16/32-Bit-Computer. Ein Prozessor wurde noch nicht final festgelegt, was zeigt, dass die Arbeiten an Sierra nicht allzu weit fortgeschritten war, als die Atari Consumer Division an Jack Tramiel verkauft und die ASRL-Projekte kurz darauf eingestellt wurden. In Sierra sollte ein neuartiger Grafikchipsatz namens Rainbow zum Einsatz kommen, der aus den beiden VLSI-Grafikchips Silver und Gold besteht, außerdem ein Soundchip namens Amy, der über bis dahin nicht gekannte Synthesizer-Fähigkeiten verfügte. Die Entscheidung über einen Hauptprozessor war noch nicht gefallen, zur Auswahl standen der National Semiconductor NS16032, der Motorola 68000, der Zilog Z8000 sowie die beiden Intel-Modelle 80186 und 80286. Die Vorgabe war, dass sich der Preis der CPU auf etwa $300 belaufen dürfe. Als Betriebssystem sollte eine Eigenentwicklung zum Einsatz kommen, deren Entwicklung unter dem Namen Eva verlief, aber auch über eine Portierung von UNIX System V wurde nachgedacht. Eva wird in internen Dokumenten als Referenz auf eine Figur aus The Marvelous Land of Oz auch Gump genannt. Bis Anfang 1984 waren die Arbeiten an Sierra nicht allzu weit vorangekommen, lediglich ein paar Designstudien wurden erstellt, von fertiger Hardware oder einem Systemkern war man noch ganz weit entfernt. Lediglich die Gruppe, die den Soundchip entwickelte, machte derart gute Fortschritte, dass der mittlerweile AMY-1 getaufte Chip im zweiten Halbjahr 1984 in Serienproduktion hätte gehen können. Mit dem Verkauf der Atari Consumer Division an die Tramiels wurden die Arbeiten am Projekt Sierra schließlich eingestellt.

Im Juli 1984 kaufte Jack Tramiel die Consumer Division Ataris auf und verschmolz sie mit Tramel Technologies Limited (TTL) zur Atari Corporation. TTL hatte bereits seit Mai 1984 einen eigenen 16/32-Bit-Computer unter dem Codenamen Rock Bottom Price in der Entwicklung, dieser sollte 1985 als Atari ST das Licht der Welt erblicken. Daher hatte die neue Atari-Führung wohl auch nur wenig Verwendung für die ASRL- und Lorraine-Projekte, zumal von allen drei Projekten bisher nur ein Soundchip nahezu fertig entwickelt war. Auch wenn die Mehrheit der ASRL-Belegschaft von der Atari Corporation übernommen wurde, gelang es doch nur dem Soundchip-Team, die Tramiels von ihrer Arbeit an Amyzu überzeugen. Die genehmigten schließlich die weitere Entwicklung des Chips, er sollte dann im auf Musikanwendungen spezialisierten Computer 900XLA (später 65XEM) seine Verwendung finden. Eine Integration des Chips in das 8-Bit-System gelang jedoch nicht, was im März 1985 vom Management auch bestätigt wurde. Der Rest des ASRL-Teams verließ Atari nach und nach. Die Atari Corporation setzte erfolgreich auf den ST, der jedoch im Gegensatz zu Sierra und Gaza erheblich leistungsschwächer ist und auf bereits erhältliche Standardchips wie den Soundchip AY-3-8910 bzw. dessen Derivat YM2149 setzt.

Atari Sierra Konzeptstudie
Eine der Konzeptstudien des Atari Sierra
Bild: Wikimedia Commons

Letzte Seitenbearbeitung: 17. September 2022